Größere Ansicht

Wilhelm Heinrich Focke (*Bremen 1878 - † Bremen 1974), Maler

Ansgariikirche , um 1925

Focke malte die alte Bremer Ansgarii-Kirche Mitte der 1920er Jahre vom Dachgeschoss eines gegenüberliegenden Hauses an der Obernstraße in Höhe der Einmündung der Papenstraße aus. Die unmittelbare Nahsicht auf die Giebel und den Turm des gegenüberliegenden Kirchengebäudes schafft eine leicht verzerrte Perspektive: Der Turm ist aus diesem Blickwinkel in leichter Untersicht und, da vom Bildrand überschnitten, ohne seine „welsche Haube“ von 1590 wiedergegeben, so dass der Blick über den Bildrand hinaus in den stahlblauen und von geballten Wolken bewegten Himmel gezogen wird. Die ungewöhnliche Perspektive und das Ausschnitthafte, das bei der beträchtlichen Bildgröße besonders wirkungsvoll zur Geltung kommt, verleihen dem Motiv eine lebensvolle, fast dramatische Komponente, die nicht nur den repräsentativen Anspruch des altehrwürdigen Kirchengebäudes hervorhebt, sondern auch seine machtvolle geistige Präsenz in Bremens Innenstadt thematisiert. Die flankierenden Gebäude, rechts die Wallmühle, links das Gewerbehaus und im Hintergrund die damals noch ländlichen Bezirke hinter dem Wall ergänzen als charakteristische Wahrzeichen das Bild der Stadt.
Die alte Ansgarii-Kirche, eine Hallenkirche aus dem 14. Jahrhundert mit den für Bremens Altstadtkirchen typischen quergestellten Giebeldächern, wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört. Mit dem Einsturz des 102 Meter hohen Turmes am 1. September 1944 verlor die Stadt ihren höchsten Turm und ein wichtiges Merkmal ihrer Silhouette. Ende der 50er Jahre musste die Kirchenruine dem Kaufhaus Hertie Platz machen.
St. Ansgarii war eine der traditionsreichsten Bremer Stadtpfarren und spielte in der Bremer Kirchengeschichte eine wichtige Rolle, gilt sie doch als Ausgangsort der Reformation in Bremen: Die Predigt des Augustinermönchs Heinrich von Zütphen, einem Mitstreiter und Freund Martin Luthers, 1522 in einer Kapelle der St. Ansgarii-Kirche, hatte soviel Überzeugungskraft, dass sich bereits 1525 alle vier Stadtpfarren und zuletzt auch das Domkapitel der Reformation anschlossen. Vom 16. bis 18. Jahrhundert war die Ansgarii-Gemeinde eine Hochburg des reformierten Glaubens.
Den Blick in die Wolken über die Dächer von Bremen hat Focke in seinen Stadtansichten gerne aufgegriffen und von seinen verschiedenen Ateliers aus gemalt und gezeichnet, sei es in der Vasmersstraße oder in der Kohlhökerstraße.(1) Da er die Stadt als „Tod“ für den Menschen verstanden haben soll, dürfte in dieser Blickführung auch die romantische Vorstellung von der unbegrenzten Weite der Natur als Ausdruck für die Sehnsucht des Menschen nach seiner eigentlichen, religiösen Heimat mitschwingen. In Fockes Stadtansichten der 1930er Jahre werden die Dächerlandschaften zunehmend aus vereinfachten farbigen Flächen gebaut, die Licht und Schatten reflektieren und damit eine sachlichere, moderne Bildsprache vor Augen führen. Dagegen steht in dem großen Bild der Ansgarii-Kirche Mitte der zwanziger Jahre die wuchtige Reihung der einzelnen Bauteile und die dramatische Inszenierung von Wolken und Licht im Vordergrund, die im Sinne der idealistischen Auffassung der Jahrhundertwende den Baukörper als mächtiges Sinnbild für das in ihm stattfindende geistige Leben veranschaulicht.
Focke hat 20 Jahre später, im Kriegsjahr 1944, kurz bevor der Turm einstürzte, ein zweites Bild von der Ansgarii-Kirche im sehr viel kleineren Format 32 x 45 cm gemalt.(2) Diese zweite Ansicht erfasst mit dem Turm, dem unteren Teil der Haube und zwei Dachgiebeln einen sehr viel engeren Bildausschnitt. Auch hier wird der Blick nach oben in den blauen, bewölkten Himmel thematisiert. Die einzelnen Elemente, Turm, Giebel, Wolken und Himmel, wirken wie eine aufs Wesentliche verdichtete Zusammenfassung des großen Bildes, entbehren dadurch aber den repräsentativen Charakter der ersten Fassung.

Katharina Erling

(1) S. dazu seine Skizzenbücher im Kupferstichkabinett der Kunsthalle.
(2) Helmut Hadré (Hg.): Wilhelm Heinrich Focke. Ein norddeutscher Maler, Flugzeugpionier und Erfinder, Bremen 2006, Farbabb. S. 264.
Abmessungen
  • Objekt: 100 x 185 cm
Raum
ausgestellt: OG Mittelsaal
Inventarnummer
92-1926/9
Permalink

Werkinformationen

Künstler

Wilhelm Heinrich Focke (*Bremen 1878 - † Bremen 1974), Maler

Werk
Titel:
Ansgariikirche
Entstehungsdatum:
um 1925
Grunddaten
Abmessungen:
  • Objekt: 100 x 185 cm
Werktyp:
Gemälde
Technik:
Öl auf Leinwand
Erwerbsinformation:

    1927

  • Erworben aus Mitteln der Freien Hansestadt Bremen (Stadtgemeinde) 1927
Creditline
  • © Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen

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ausgestellt: OG Mittelsaal