Vor einer Frisierkommode mit Waschschüssel, Krug und Spiegel sitzt eine im Brustbild erfasste junge Frau in einem hellblauen Morgenmantel. Darunter trägt sie ein spitzenbesetztes Mieder in Weiß und Rosa. Das dunkle Haar wird von einem dunkelgrünen Band gehalten und steht in kräftigem Kontrast zu den hellen Pastelltönen der Kleidung und des Inkarnates, das in zarten rosa-gelblichen Abstufungen gehalten ist. Der weich fließende, nuancenreiche Farbauftrag unterstützt den Eindruck zarter Anmut und sinnlicher Schönheit und erinnert an die Malerei von Renoir. Der eng gefasste Bildausschnitt und die scheinbar spontane Wendung des Modells nach links vermitteln eine ganz unmittelbare Präsenz.
Dargestellt ist die so genannte „Rote Unke“; sie saß Tewes in den frühen Pariser Jahren mehrfach Modell. So ist sie auf dem wohl ebenfalls 1909 in Paris gemalten Bildnis Rote Unke (Privatbesitz) (1) zu sehen und stand auch für den Sitzenden weiblichen Akt mit Tuch Modell.(2)
Das Bild Mädchen in Blau war im November/Dezember 1909 mit einer kleinen Auswahl von Tewes’ neuesten Pariser Arbeiten in der Kunsthalle Bremen ausgestellt und wurde dort für 350 Mark von dem Bremer Sammler A. Müller erworben.(3) In seiner Besprechung der Ausstellung hob Emil Waldmann es als „bedeutendes“ Werk hervor. Im Vergleich mit dem unmittelbar daneben ausgestellten Bild Toilette (dem heute ebenfalls in der Kunsthalle befindlichen Gemälde Sitzender weiblicher Akt mit Tuch) vermisste er zwar eine ähnliche Reife, rühmte aber die malerische Behandlung: „Die Modellierung, die Fleischmalerei ist von großer Kraft und von einer unmittelbar bezaubernden Schönheit. Man fragt sich, wer in Deutschland heute imstande ist, einen solchen Kopf zu malen, mit dieser Lebendigkeit und dieser Solidität. Es gibt nicht viele Künstler, die es von sich behaupten möchten.“(4)

Katharina Erling

(1) Privatbesitz, vgl. Kunst und Bürgerglanz in Bremen, Kat. Ausst. Focke Museum Bremen 2000, S. 216, Abb. S. 208, 209.
(2) Vgl. auch den Text zu diesem Bild aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen.
(3) Ausstellungsbuch 1906–1912, November 1909, S. 122, Nr. 570.
(4) Emil Waldmann: Aus der bremischen Kunsthalle. Einige neue Arbeiten von Rudolf Tewes, in: Bremer Nachrichten, 12. Dezember 1909.