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Arthur Fitger (*Delmenhorst 1840 - † Bremen 1909), Maler

Die Winzerfamilie , 1894
Enthalten in der Kollektion:
Provenienzforschung in der Kunsthalle Bremen

In einem mächtigen Torbogen, durch eine Stufe erhöht, präsentiert der Künstler Arthur Fitger eine junge Familie: Die Frau hält den in Tüchern gewickelten Säugling, während der Mann behutsam eine Hand auf ihre Schulter legt. Dieser hat einen Spaten und ein Bäumchen – vielleicht ein Lorbeerbaum – geschultert und erscheint mit breitkrempigem Hut eher als Gärtner denn als Winzer. Die junge Mutter ist in einen bodenlangen, burgunderroten Kapuzenmantel gehüllt. Am rechten Arm trägt sie einen Korb mit Reben und reifen Früchten. Ihr Begleiter wirkt in seiner kraftvollen Statur mit Vollbart, hellem Hemd, über die Schulter geworfener Joppe, ledernen Bundhosen, wollenen Kniestrümpfen und flachen schwarzen Schuhen wie eine Gestalt aus einem bayrischen Volkstheater. Begleitet wird das Paar von einem Schaf und zwei Lämmern.
Das Thema des Weines, der Früchte und der Fülle hat Fitger von Jugend an beschäftigt. Das zeigen besonders die Gemälde im Senats- und im Kaiserzimmer des Bremer Ratskellers von 1876/77, die allerdings durch die leuchtenden Farben und die vielfigurigen bewegten Kompositionen eine ganz andere, üppig barocke Aura entfalten. Die Winzerfamilie, 1894 gemalt, gehört dagegen in die späteren Schaffensjahre des Künstlers, in denen er oftmals einen verhaltenen Ausdruck in Farbe und Form im Sinne der damaligen Vorstellung von klassischer Kunst bevorzugte.(2) Charakteristisch für Fitgers Malerei der neunziger Jahre ist die auf wenige Töne abgestimmte Farbpalette in verhaltenem Rot, Grau, Braun und Blau. Gesichter, Hände und Inkarnat sind glatt und ebenmäßig modelliert, wogegen die übrigen Partien in schnellen, mal in zeichnerischem Duktus, mal flächig füllenden, stellenweise auch pastos auftragenden Pinselzügen geformt sind.

Das Bild ist seit der Versteigerung bei Bolland & Marotz in Bremen im März 1982 bekannt. Es stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus einem Privathaus. Der Titel ist nicht original. Wolfgang Türk hat das Bild 2001 als Winzerfamilie beziehungsweise Allegorie der Vier Jahreszeiten veröffentlicht und 1894 datiert.(3) Die Gruppe ist jedoch nicht eindeutig als Winzerfamilie oder als eine Allegorie der Vier Jahreszeiten zu erkennen. Nach Türk(4) sind bislang keine Hinweise in Briefen oder andere Quellen bekannt, die Auskunft über Inhalt, Entstehungsumstände oder ursprüngliche Herkunft des Bildes geben könnten. Auch die Deutung als Allegorie des Herbstes, wie sie Helke Kammerer-Grothaus vorgeschlagen hat, erklärt das Bild nicht eindeutig.(5) Laut Türk habe Fitger immer versucht, die Wünsche und Vorgaben des Auftraggebers schlüssig umzusetzen. Als Allegorie des Herbstes sei jedoch die Zusammenstellung der Attribute – Reben für die Erntezeit, Spaten und junges Bäumchen für die Pflanzzeit, Schafe und Lämmer für die Fortpflanzung in Herbst und Frühjahr – nicht ganz stimmig. Es könnte sich auch um einen Auftrag für ein junges Paar zur Hochzeit oder zur Geburt eines Kindes vielleicht mit Blick auf die Neugründung einer Familie und den Bau eines eigenen Hauses handeln. Dafür sprächen die Gestalt des Gärtners und der sinnbildliche Hinweis auf die Pflanzung eines jungen Baumes in Verbindung mit der jungen Mutter und dem Schaf mit Lämmern.
Unverkennbar ist in der Winzerfamilie die christliche Bildtradition: Man fühlt sich sofort an die Heilige Familie mit dem Christuskind erinnert. Die Erhöhung durch eine Architekturkulisse mit Blick in den Himmel geht auf ein seit der Renaissance für Altäre und Andachtsbilder beliebtes Kompositionsschema zurück. Als Vorlage dafür dürfte das zentrale Bildpaar mit Platon und Aristoteles aus Raffaels Schule von Athen in der Stanza della Segnatura des Vatikans gedient haben. Das Studium dieser Fresken von Raffael war für angehende Maler aus der Generation Fitgers fester Bestandteil der Ausbildung. Fitger verstärkte dabei die theatralische Komponente, indem er den Fokus auf die zwei Figuren im Torbogen richtete. Bei der Verwendung dieses Kompositionsmittels war er sich zugleich der christlichen Bildtradition durchaus bewusst. Dies belegen zwei religiöse Gemälde von ihm: das Altarbild Maria, Trösterin der Betrübten für die Kapelle des St. Joseph-Stiftes in Bremen von 1904 und das Gemälde Vom reichen Mann und dem armen Lazarus für ein Privathaus in Göteborg, in denen er auf dasselbe Schema zurückgriff.(6) Auf dem Altarbild für das St. Joseph-Stift erscheint die Madonna in einer durch Stufen erhöhten gotischen Spitzbogenarchitektur; das Gemälde in Göteborg zeigt die gleiche Inszenierung mit Stufen und klassischer Bogenarchitektur wie die Winzerfamilie. In unserem Gemälde sind überdies alle zentralen christlichen Symbole aufgeführt: der Weinstock, die Reben und die Ähren können als Zeichen für Brot und Wein und das Lamm als Bild für Christus beziehungsweise für die Schafe an der Krippe gelesen werden. Für den Winzer oder Gärtner könnte sogar Dürers Christus als Gärtner aus dem Holzschnitt Christus erscheint Magdalena als Vorbild gedient haben.
Fitger übernahm hier einen im 19. Jahrhundert allgemein verständlichen religiösen Bildtypus, um der dargestellten Familie – gemeint ist möglicherweise der Auftraggeber – durch die Nähe zur Heiligen Familie eine sakrale Aura zu verleihen. Zugleich stilisierte er das junge Paar mit Kind durch den Bezug zu der als „rein und edel“ empfundenen klassischen Kunst als ein Exemplum des Schönen und Erhabenen. Die Tracht des Familienvaters lässt darüber hinaus auch deutsch-nationale Töne mitschwingen. Das Sujet des bäuerlichen Paares als profanisiertes Andachtsbild war damals durch die Gemälde von Jean-François Millet geläufig, doch verabscheute Fitger den in seinen Augen „verödeten Kartoffelnaturalismus“,(7) wie er etwa von Fritz von Uhde in München vertreten wurde. Ihm ging es dagegen um die festliche Verklärung des Lebens und die Beglückung durch die Kunst im Sinne der klassisch-idealistischen Bildtradition. Damit bediente er perfekt den Geschmack des gehobenen Bildungsbürgertums.
Katharina Erling

Literatur

(1) Aus dieser Zeit sind keine Unterlagen mehr über Einlieferer vorhanden, freundliche Mitteilung von Christina Schulze, Bolland & Marotz, vom 6. Dezember 2012.
(2) Vgl. auch Fitgers Entwürfe für Wandbilder für den Hamburger Ratskeller in der Kunsthalle Bremen: Parnass berühmter Trinker (1895), Am vollen Fass (1895) und Winzerfest (1895).
(3) Wolfgang J. Türk: Arthur Fitger (1840–1909): Ein Bremer Maler des Späthistorismus, in: Historismus in Nordwestdeutschland, Oldenburg 2001, Abb. mit Bildtitel S. 141.
(4) Freundliche Mitteilung von Wolfgang Türk, Münster vom 6. Dezember 2012.
(5) Freundliche Mitteilung von Helke Kammerer-Grothaus, Bremen.
(6) Beide Gemälde sind verschollen. Entwürfe dazu befinden sich im St. Joseph-Stift Bremen sowie im Nachlass des Künstlers in der Städtischen Galerie Delmenhorst. Dort werden auch alte Fotografien von den Gemälden aufbewahrt.
(7)Arthur Fitger, in: Weser-Zeitung, 24. Oktober 1886 und 10. März 1888.
Abmessungen
  • Objekt: 226 x 118 cm
Raum
nicht ausgestellt
Inventarnummer
1445-2009/10
Permalink

Werkinformationen

Künstler

Arthur Fitger (*Delmenhorst 1840 - † Bremen 1909), Maler

Werk
Titel:
Die Winzerfamilie
Entstehungsdatum:
1894
Grunddaten
Abmessungen:
  • Objekt: 226 x 118 cm
Werktyp:
Gemälde
Technik:
Öl auf Leinwand
Erwerbsinformation:

    2009

  • Geschenk einer Kunstfreundin 2009
Creditline
  • Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen

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nicht ausgestellt