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Johann Christian Seipel (*Bremen 1821 - † München 1851), Maler

Am Meeresstrand (Das gestrandete Schiff) , 1846

An einer kargen Küste mit steil aufragenden Klippen liegt ein Schiff am Strand. Der abgetakelte Zweimaster mit bauchigem Rumpf hat sich in Schräglage zum Meer geneigt, der Bugspriet weist zum Betrachter. Die Takelage ist stellenweise gerissen, doch sonst scheint das Schiff nicht beschädigt zu sein. Der Titel Das gestrandete Schiff, den das Bild seit 1936 trug,(1) interpretiert die Szene jedoch als Schiffbruch. Zwar wirken die düsteren Wolken, die gerade abziehen, wie der Nachklang eines Sturms, und auch das Wrackteil im Vordergrund – ein abgerissenes Seitenschwert – könnte ein Hinweis auf ein Schiffsunglück sein. Doch das Strandgut muss keineswegs zu dem Schiff gehören, und die ruhige See passt nicht zu einem so dramatischen Ereignis.
Auch die Menschen, die den Strand bevölkern, wirken nicht wie Zeugen eines Schiffsbruchs: Rechts im Vordergrund hat sich bei einem Tümpel ein Fischerpaar niedergelassen. Neben ihm stehen zwei Strohkörbe, die mit Tüchern abgedeckt sind. In dem rechten Korb erkennt man einen länglichen Gegenstand, der die Form eines Fisches hat.
Am Fuß der Klippen bewegt sich eine Menschenmenge auf das Schiff zu. Es handelt sich überwiegend um Frauen mit langen Röcken, weißen Schürzen und Hauben sowie Körben im Arm. Sie gehen oder stehen ruhig am Schiffsrumpf und scheinen auf das Austeilen der Ladung zu warten. An Deck sind offenbar drei Männer mit der Herausgabe der Ware beschäftigt. Auch die links am Strand stehenden Figuren blicken ruhig über die glatte See. Sie alle bilden eine friedliche Staffage, die keinerlei Hinweis auf einen Schiffbruch gibt. In Sichtweite des Strandes kreuzen auf der glatten See fünf kleine Segelboote, die den Eindruck einer alltäglichen Szene unterstreichen: Seipel schildert kein theatralisches Szenario „nach dem Sturm“, sondern eine stille, karge Küstenlandschaft. Der ältere Bildtitel Am Meerestrand(2) scheint das Motiv daher besser zu bezeichnen als die einseitig interpretierende Bezeichnung Das gestrandete Schiff.
Im Mittelpunkt von Seipels künstlerischem Interesse steht nicht ein vermeintliches Schiffsunglück, sondern die Darstellung der Landschaft und das Spiel von Licht und Schatten. Vergleicht man sein Gemälde mit zeitgleichen Effektbildern von Andreas Achenbach (Schiffe im Sturm an der holländischen Küste, 1854),(3) Johan Christian Dahl (Schiffbruch an der norwegischen Küste, 1831)(4) oder Heinrich Reinhold (Nach dem Sturm , 1819)(5), wird deutlich, dass Seipel jegliche Dramatik ausblendet. Das Motiv des Schiffsbruchs wurde in der Kunst der Romantik als Daseinsmetapher verstanden. Die Schiffskatastrophen spielen sich zumeist in Phantasielandschaften ab, so z.B. bei Johan Christian Dahls 1819 entstandenem Morgen nach einer Sturmnacht, wobei die Landschaft zur Stimmungsmetapher des gestrandeten Menschen, zum Spiegel seiner Gefühle wird.(6)
Seipels inszeniertes Strandbild, das kein bestimmtes Ereignis illustriert, ist eher als Landschaftsdarstellung mit maritimer Thematik und genrehafter Staffage zu bezeichnen. Es steht in der Tradition der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts wie beispielsweise Jan van Goyens Strand- und Meeresszenen.(7) Seipel lernte die holländische Marinemalerei durch Vermittlung seines Lehrers Wilhelm Krause kennen und sammelte Erfahrungen bei Studien auf Rügen. Die Nähe zu Krauses Werk ist offensichtlich. Dessen 1836 entstandenes Gemälde Fischerboote an der Küste zeigt einen vergleichbar unspektakulären Bildaufbau.(8)

Anke Schmidt-Staufenberg

(1) Vgl. Emil Waldmann: Gemälde und Bildhauerwerke der Kunsthalle zu Bremen, Bremen 1939, Kat. Nr. 171, S. 137.
(2) Auf der Rückseite des Gemäldes findet sich auf dem Keilrahmen ein aufgeklebter Ausschnitt aus einem Ausstellungskatalog ohne Jahres- und Ortsangabe: „Seipel, Carl in München. 155. Am Meeresstrand. Leinw. 28/41.“
(3) Felix Krämer: Sturm und Untergang, in: Seestücke. Von Caspar David Friedrich bis Emil Nolde, Kat. Ausst. Hamburger Kunsthalle 2005, S. 35–47, Kat. Nr. 22, S. 47.
(4) Ebd., Kat. Nr. 15, S. 39.
(5) Ebd., Kat. Nr. 14, S. 38.
(6) Vgl. Johan Christian Dahl 1788–1857. Ein Malerfreund Caspar David Friedrichs, Kat. Ausst. Neue Pinakothek München 1988/89, Kat. Nr. 18, S. 72, Abb. S. 73.
(7) Vgl. z.B. Windmühle und Stadttor am Meer, 1644, in: Jan van Goyen 1596–1656. Poet of the Dutch Landscape, Kat Ausst Alan Jacobs Gallery, London 1977, Kat .Nr. 20, S. 80.
(8) Wilhelm Krause, Fischerboote an der Küste, 1836, 43 x 26 cm, Öl auf Leinwand, vgl. paintgallery.de (Zugriff am 1.11.10). In der Kunsthalle Bremen befindet sich das Gemälde Seestück, 1845, 13 x 22 cm, Öl auf Papier und Pappe, Inv. Nr. 257–1936/21, vgl. Gerhard Gerkens / Ursula Heiderich: Katalog der Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts in der Kunsthalle Bremen, 2 Bde., Bremen 1973, S. 169 und Abb. 126.
Abmessungen
  • Objekt: 28 x 41 cm
Raum
nicht ausgestellt
Inventarnummer
171-1936/11
Permalink

Werkinformationen

Künstler

Johann Christian Seipel (*Bremen 1821 - † München 1851), Maler

Werk
Titel:
Am Meeresstrand (Das gestrandete Schiff)
Entstehungsdatum:
1846
Grunddaten
Abmessungen:
  • Objekt: 28 x 41 cm
Werktyp:
Gemälde
Technik:
Öl auf Leinwand
Bezeichnungen:
  • unten rechts signiert und datiert: C. Seipel. München. 1846.
Erwerbsinformation:

    1936

  • Erworben von der Kunsthalle Bremen 1936
Creditline
  • Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen

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