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Hermann Sandkuhl (*Bremen 1872 - † Berlin 1936), Maler

Christus predigt , um 1926

Die Darstellung des predigenden Christus ist ungewöhnlich in der christlichen Bildtradition und erst seit Rembrandts Hundertguldenblatt ins Bewusstsein gerückt.(1) In der Generation vor Sandkuhl waren es Maler wie Eduard von Gebhardt in Düsseldorf und Fritz von Uhde in München, die dieses Thema malten. Mit Blick auf Rembrandt versuchten sie die Wiederbelebung der christlichen Kunst durch einen neuen realistischen Ansatz. Angeregt durch diese Vorbilder, dürfte auch Sandkuhl das Thema aufgegriffen haben.(2) Auch er legte seinem Bild verschiedene Textstellen im Matthäus- und Lukasevangelium zu Grunde, die im Sinne der Bergpredigt die Botschaft Christi als Zuspruch für alle verkünden, die „mühselig und beladen“ sind (Matth. 11,8, Kap. 19 sowie Luk. 14,21). Bei Sandkuhl ist Christus der ruhende Pol in einer großen Volksmenge, die sich um ihn versammelt hat, um ihm zuzuhören, ein Lichtwesen, das magnetisch alle anzieht, die Erlösung suchen. Die Menschenmenge ist in großen Bewegungsströmen diagonal auf Christus hin geordnet. Auf ähnliche Weise versammelte auch Eduard von Gebhardt 1892 in seinem Gemälde Der reiche Jüngling(3) das Volk in einer Scheune um den predigenden Christus. Sandkuhl arbeitete mit starken Beleuchtungseffekten, die allerdings nicht wie bei Uhde oder Rembrandt von der göttlichen Wesensart Christi ausgehen, sondern eher wie Scheinwerfer eine dunkle Bühnenszene erhellen. Auch er versetzte Christus in seine eigene Gegenwart, verlieh den Zuhörern charakteristische Züge seiner Zeit und versah sie mit ärmlichen Kleidern, wie sie damals in den ärmeren Volksschichten anzutreffen waren. Vielleicht hat ihn auch die Malerei von Caravaggio inspiriert, darauf verweisen die schmutzigen Fußsohlen des Knienden im Vordergrund, die durch dessen Loreto-Madonna in Rom bildwürdig geworden sind.
In der derben Realistik der einzelnen Charaktere – Prototypen für Armut, Entbehrung und Alter, aber auch für Intellektuelle, Neugierige und Sinnsuchende – äußert sich auch bei Sandkuhl der Anspruch, die Unmittelbarkeit und Gültigkeit der christlichen Botschaft für die eigene Zeit deutlich zu machen. Manch ein Gesicht dürfte als individuelles Porträt zu lesen sein, wie man es auch auf seinen etwa zeitgleichen sozialkritischen Gemälden mit Obdachlosen, Arbeitslosen und Lebensscheuen beobachten kann.(4) Auch die Komposition des Gemäldes ist auf Nähe und Unmittelbarkeit angelegt. Der Betrachter steht förmlich hinter den vorderen Zuhörern, einer Mutter mit ihren Kindern und einer sitzenden jungen Frau. Der Blick Christi ist etwa auf Augenhöhe des Betrachters, geht aber dicht an ihm vorbei in die Ferne. In der genauen Beschreibung von Körperhaltung und Mimik der Zuhörer entfaltet der Künstler ein Kompendium menschlicher Wesensart. Jeder ist in seiner persönlichen Begegnung geschildert, beim Nachdenken, Beten, Staunen, Zuhören, Ergriffensein und im gegenseitigen Austausch. Der breite Pinselduktus und der flächige Farbauftrag modellieren die Gestalten in groben Zügen, betonen ihre kompakte Körperlichkeit und überzeichnen teilweise charakteristische Physiognomien in expressiver Deutlichkeit. In der nüchternen, zurückhaltenden Farbigkeit steht Sandkuhl in der realistischen Tradition seiner Lehrer Carl Bantzer und Leopold von Kalckreuth.
Das Gemälde ist ein Programmbild für Sandkuhls auch gelebte Überzeugung von der menschlichen Zuwendung im Sinne der christlichen Nächstenliebe als Ausweg aus dem Elend und der Not seiner Tage. Er steht damit in einer Reihe mit Malern wie Fritz von Uhde, Lovis Corinth, Käthe Kollwitz, Emil Nolde oder auch Max Beckmann, die teilweise zur gleichen Zeit die christliche Thematik als Ausdruck ihrer eigenen Erfahrung aufgriffen und damit von der bloßen Illustration zu einer neuen zeitgemäßen Form der Darstellung zu führen versuchten. Im Unterschied zu der übersteigerten emotionalen Gestik seiner expressionistischen Malerkollegen bemühte sich Sandkuhl um eine objektive, realistische Form in volkstümlichem Rahmen, die dem sozialkritischen Ansatz, wie ihn Käthe Kollwitz oder Hans Baluschek vertraten, näher steht. Damit konnte er auch in der Öffentlichkeit mehr Verständnis finden. Als Leiter der Abteilung für religiöse Kunst an der Hochschule für freie und angewandte Kunst in Berlin erhielt er mehrere Aufträge für die Ausgestaltung von Kirchenräumen, darunter auch für die 1928 in der evangelischen Königin-Luise Gedächtnis-Kirche in Berlin Schöneberg entstandenen vier Fresken, die allerdings 1960 übermalt wurden.

Katharina Erling

(1) Das Gemälde befindet sich seit der Gedächtnisausstellung 1937 in der Kunsthalle. Damals war es verkäuflich. Woher es stammt, ist ungewiss. Möglicherweise verblieb es aufgrund seiner Größe zur Aufbewahrung in der Kunsthalle.
(2) Friedrich Gross: Jesus, Luther und der Papst im Bilderkampf 1871–1918. Zur Malereigeschichte der Kaiserzeit, Marburg 1989, Abb. 254 (Hans Thoma), Abb. 255 (Fritz von Uhde), Abb. 262, 263, 266 (Eduard von Gebhardt), Abb. S. dazu auch: Fritz Mackensen, Die Bergpredigt, 1907, Öl auf Lwd., 285 x 405 cm, Universitätsbibliothek Heidelberg, in: Ulrike Hamm / Bernd Küster: Fritz Mackensen 1866–1953, Worpswede 1990, S. 182.
(3) Öl auf Holz 105 x 135 cm, Kunstmuseum Düsseldorf, Inv. Nr. 4017, s.: Adolf Rosenberg: Eduard von Gebhardt, Bielefeld / Leipzig 1899 (= Knackfuß Künstler-Monographien XXXVIII), Abb. 88.
(4) S. dazu: Monika Titze / Lotte Sandkuhl / Stefan Sandkühler: Herman Sandkuhl, Leben und Werk, Kat. Ausst. Künstlergilde Buslat, Schloss Bauschlott, Karlsruhe 1980, Kat. Nr. 7402, Abb. S. 87: Die Arbeitslosen, 1924/25, Öl auf Leinwand, verschollen; Kat. Nr. 7502, Abb. S. 88: Lebensscheu, 1925/26, Öl auf Pappe, verschollen; Kat. Nr. 7503, Abb. S. 90: Obdachlose, 1925/26, Öl auf Pappe, verschollen.
Abmessungen
  • Objekt: 201 x 267 cm
Raum
nicht ausgestellt
Inventarnummer
1353-1998/7
Permalink

Werkinformationen

Künstler

Hermann Sandkuhl (*Bremen 1872 - † Berlin 1936), Maler

Werk
Titel:
Christus predigt
Entstehungsdatum:
um 1926
Grunddaten
Abmessungen:
  • Objekt: 201 x 267 cm
Werktyp:
Gemälde
Technik:
Öl auf Leinwand
Erwerbsinformation:
  • Alter Bestand
Creditline
  • Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen

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nicht ausgestellt